Am 24. Juli 2021 kam es im europäischen Verbundsystem zur zweiten Großstörung in den letzten 7 Monaten. Die deutlichen Warnhinweise für einen drohenden Blackout werden weiter ignoriert.
Von Herbert Saurugg
Am 24. Juli 2021 kam es um 16:36 Uhr zu einer Netzauftrennung im europäischen Verbundsystem und damit zur zweiten Großstörung in den letzten sieben Monaten. Doch kaum jemand hat davon Notiz genommen, frei nach dem Motto „Guat is ganga, nix is g’scheh’n“, auch wenn in Frankreich, Spanien und Portugal rund zwei Millionen Menschen kurzzeitig ohne Strom waren. Während man in Deutschland gerade mit dem Katzenjammer beschäftigt ist, wie es nur zur tödlichsten Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg kommen konnte, werden andere Warnsignale weiter ignoriert. Wir lernen offensichtlich nicht dazu.
Die Iberische Halbinsel ist nicht optimal mit dem zentraleuropäischen Stromversorgungssystem vernetzt. Trotzdem fließen immer wieder große Energiemengen über diese Verbindungsstellen. So auch am 24. Juli 2021. Unglücklicherweise kam es unter einer dieser Trassen zu einem Flächenbrand. Löschflugzeuge wurden eingesetzt. Um 16:35 Uhr dürfte ein Löschflugzeug seine Ladung unmittelbar über einer Höchstspannungsleitung abgeladen und damit einen Kurzschluss verursacht haben. Damit wurden offensichtlich Resonanzeffekte ausgelöst, welche eine Minute später zu einer Überlastung der Kuppelstellen und zur Netzauftrennung zwischen Frankreich und der Iberischen Halbinsel führten. Es fehlte nun auf der Iberischen Halbinsel eine Energiemenge von rund drei großen Kraftwerken, was kurzfristig nicht durch andere Kraftwerke ausgeglichen werden konnte. In Folge wurde ein automatisierter Lastabwurf ausgelöst, wodurch rund zwei Millionen Menschen in Frankreich, Spanien und Portugal für bis zu einer Stunde ohne Strom waren. Die Ausbreitung der Störung konnte damit gerade noch rechtzeitig gestoppt und ein Blackout auf der Iberischen Halbinsel verhindert werden.
Auch wenn der Stromausfall für die betroffenen Menschen relativ kurz gedauert hat, gibt es zahlreiche Meldungen von Folgestörungen in anderen Bereichen. Etwa in einem Stahlwerk oder in verschiedenen IT-Infrastrukturen. Auch Computerkassen sollen danach stundenlang nicht funktioniert haben.
So etwas hätte nicht passieren dürfen
Wieder einmal gibt es deutlich mehr Fragen als Antworten. Denn so etwas hätte nicht passieren dürfen. Die europäischen Übertragungsnetzbetreiber untersuchen nun den Vorfall. Immerhin bereits der zweite in diesem Jahr. Zuvor gab es nur vier weitere Netzauftrennungen im europäischen Verbundsystem: 2003, beim Blackout in Italien, 2006 bei der bisher schwersten Großstörung quer durch Europa, 2015, beim Blackout in der Türkei, und am 8. Januar 2021, wo es zu einer Netzauftrennung zwischen dem Balkan und Resteuropa kam. Auch damals spielten die Stromimporte auf der Iberischen Halbinsel eine wichtige Rolle.
Die europäischen Übertragungsnetzbetreiber haben wieder eine hervorragende Arbeit geleistet. Durch die automatisierten Prozesse konnte Schlimmeres verhindert werden. Dennoch sollten wir die bereits 2015 klar formulierte Warnung nicht weiterhin ignorieren: „A large electric power system is the most complex existing man-made machine. Although the common expectation of the public in the economically advanced countries is that the electric supply should never be interrupted, there is, unfortunately, no collapse-free power system.“
Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, nirgends. Aber wie vor dem Hochwasser werden auch hier seit Jahren die Hinweise und Warnungen ignoriert. Während nach den schweren Extremwetterschäden eine Schadensbeseitigung mit sehr hohem Aufwand möglich ist, werden die Schäden nach einem Blackout kaum in absehbarer Zeit bewältigbar sein. Durch den zu erwartenden großflächigen und langwierigen Strom- und Telekommunikationsausfall ist mit massiven Produktions- und Versorgungsproblemen zu rechnen. Wie lange könnte es dauern, wenn die gesamte Logistik quer über Europa chaotisch ausfällt und dann resynchronisiert werden muss, wenn schon die Suez-Kanalblockade solche schwerwiegenden Folgewirkungen ausgelöst hat? Genau diese Effekte werden massiv unterschätzt. Gleichzeitig wissen wir, dass sich rund zwei Drittel der Bevölkerung spätestens nach einer Woche nicht mehr in der Lage sehen, sich selbst ausreichend versorgen zu können. Der breite Wiederanlauf der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen (Lebensmittel, Medikamente, Gesundheit etc.) wird aber deutlich länger dauern. Und es wird kaum freie Kräfte geben, die helfen können, weil alle selbst betroffen sein werden.
Eine Diskussion, wie derzeit nach den heftigen Unwettern, wer nun schuld ist oder nicht ausreichend gewarnt hat, ist dann irrelevant. Daher sollten wir nicht weiter zuwarten, sondern uns endlich ernsthaft mit dem Thema Blackout-Vorsorge beschäftigen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Website RiskNET.
Herbert Saurugg ist internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV). Er beschäftigt sich seit 10 Jahren als ehemaliger Berufsoffizier mit der steigenden Komplexität und Fragilität lebenswichtiger Infrastrukturen und betreibt dazu einen umfangreichen Fachblog.
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