Ein Pfarrer, so der Verdacht, soll sich mehrfach schwer an Kindern vergangen haben – zum ersten Mal 1986. Sollte der Vorwurf zutreffen, war die Bestrafung milde: Er war weiter als Seelsorger tätig, hielt Vorträge, schrieb Bücher. Eine Recherche im Hoheitsgebiet der Kardinäle Meisner und Woelki.
„Nichts geahnt. Nichts geahnt.“
Joachim Meisner in einem Deutschlandfunk-Interview vom März 2015. Der frühere Erzbischof von Köln wird gefragt, was in ihm vorging, als die Medien im Januar 2010 vom flächendeckenden sexuellen Missbrauch durch katholische Geistliche berichteten. 2010 ist als Missbrauchsskandaljahr in die jüngere deutsche Kirchengeschichte eingegangen.
„Nichts geahnt“, süffisant-rheinisch ausgesprochen – ist mittlerweile eine Art trauriger Karnevalsschlager, angestimmt von Meisner-Kritikern und Woelki-Skeptikern. Meisner steht für brutale Vertuschung, sein Nachfolger Woelki für Aufarbeitungssimulation.
Rainer Maria Woelki übernimmt 2014 das Amt des Erzbischofs von Köln. Im September 2018 erklärt er in seinem wöchentlichen Video:
„Ich dulde in unserem Erzbistum keinerlei Vertuschung.“
Das unveröffentlichte Gutachten
Im Dezember 2018 beauftragt das Erzbistum die Münchner Kanzlei Westpfahl, Spilker, Wastl mit einem Gutachten. Es soll unter anderem aufzeigen, wie Verantwortliche im Erzbistum mit Missbrauchsbeschuldigungen umgingen. Doch zur vereinbarten Veröffentlichung des Gutachtens kommt es nicht. Das Ergebnis bleibt vorerst unter Verschluss – wegen gravierender „methodischer Mängel“, behauptet das Erzbistum und kündigt ein neues Gutachten einer anderen Kanzlei an.
Um den Verriss besonders glaubhaft zu machen, wird der Betroffenenbeirat eingespannt. In der Pressemitteilung des Bistums erklärt der Sprecher des Betroffenenbeirats Patrick Bauer:
„Wir sind enttäuscht und wütend, dass die Münchener Kanzlei derart schlecht gearbeitet und damit Versprechen einer gründlichen, juristisch sauberen Aufarbeitung gebrochen hat.“
Bauer distanziert sich später von seiner eigenen Aussage und legt den Sprecherposten nieder. Einige Mitglieder verlassen den Beirat. Sie – Opfer von sexueller Gewalt – fühlten sich ein weiteres Mal missbraucht, sagen sie in Interviews. Dass sie eine so folgenreiche Entscheidung mittragen sollten, habe sie unvorbereitet getroffen. Das Gutachten, das sie zu bewerten hatten, lag ihnen bei der entscheidenden Sitzung nicht vor. Die Pressemitteilung mit dem Sprecher-Statement steht trotz der Distanzierung weiterhin auf der Homepage des Erzbistums.
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